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Von der verführerischen Überlegenheit der Professionellen

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Über Illichs Werk steht nicht nur die radikale Kritik an den Institutionen, sondern ebenso die radikale Hinwendung zum menschlichen Vermögen. Kein anderer hat mit so unbeirrbarerer Klarheit konsequent die Überzeugung vertreten, dass der einzelne Mensch durch seine ihm gegebene Herkunft, durch seine ihm gegebene Leiblichkeit, so vieles zutiefst menschliches vermag. Dieser Reichtum wird ihm durch die moderne verwaltete Welt streitig gemacht, aberkannt und dem so erzeugten belieferungsbedürftigen Mängelwesen dann unverhohlen als institutionell verwaltete und einzig dort erhältliche Ware zum Konsum angeboten.

Illich steht zur Könnerschaft und weist unermüdlich darauf hin, wie großartig sich das Einüben als Können in uns einfleischt, aber er geißelt die Macht der Professionalität, die alle Laienhaftigkeit der Bedeutungslosigkeit anheim gibt und sie per se ins Unrecht setzt. Die Laien lassen sich nur zu leicht anstecken von der verführerischen Überlegenheit der Professionellen und deren Expertentum. Sie machen dann von selbst eifrig mit bei ihrer Selbstentwertung. So werden wir zu Unfähigen und für alles und jedes gibt es Experten, die konsultiert werden müssen. Davon sind alle Lebensbereiche erfasst. Für den Übergang vom Kindergarten in die Schule gibt es nun ein spezielles Übergangsmanagement und anstatt Entsetzen löst die Einführung dieser Expertenkaste allenthalben Erleichterung aus. Kaum ein Erzieher in den Kindertagesstätten mehr, dem wir unsere Kinder tags anvertrauen, kann es noch vermeiden die Kinder mit dem Blick des Fachmanns zu beobachten anstatt sie anzuschauen wie sie sind. Wenn das Kind dann mal mehr und mal weniger isst, schneller oder langsamer spricht oder an einem Tag nicht mit dem Ball spielt, es ist immer ein Problem, was sich im Blick der Experten darin zeigt. Mehr Weigerung den Menschen als ein Du zu anzusehen, ist kaum vorstellbar.

„Werkzeuge sind dann der Konvivialität förderlich, wenn sie von jedem so oft oder so selten wie gewünscht verwendet werden können, um ein vom Benutzer selbst gewähltes Ziel zu erreichen“ (Illich, Selbstbegrenzung, S. 42 ff). Konvivial dürfen nur solche Werkzeuge (der Begriff ‚Werkzeuge‘ ist hier weit gefasst und schließt Geräte, Technologien und ebenso Institutionen wie Kindergarten, Schule etc. ein) genannt werden, die das soziale Miteinander unter den Menschen ihnen gemäß unterstützen. Nur eben diese Werkzeuge, die den Menschen verbindend dienen und sie nicht zu maskenhaften Konkurrenten um dieselbe Ware machen, nur Werkzeuge, die sie fähiger machen anstatt unfähiger, verdienen dieses Prädikat. Nach Illich ist von elementarer Bedeutung, dass der Zugang zu diesen Werkzeugen nicht durch institutionelle Regelungen vorsätzlich eingeschränkt wird (Kindergärten machen die Eltern zu Unfähigen im Umgang mit ihren eigenen Kindern). Heute ist uns aber durch die oben beschriebene Ansteckungsgefahr und Empfänglichkeit der Laien für die Entwertung durch das Expertentum meist der Blick verstellt, einfache und naheliegende Dinge wie diese zu erkennen.

Zum Konsum verurteilt wähnen wir uns an der Spitze der menschlichen Zivilisation wo uns das Gruseln kommen müsste. Kann sich der von Paul Virilio bereits 1992 (rasender Stillstand) beschriebene bewegungslose Mehrfachbehinderte als ausweglose Konsumfigur der Moderne durch hektisch betriebenen Freizeitstress zum Ausgleich für das viele Aufgezwungene darüber hinwegtäuschen, dass er sich in der Starre des Konsumierens durch noch mehr Konsum nur noch weiter von sich entfernt?

Konvivial meint nicht nostalgische Rückbesinnung auf eine vermeintlich gute alte Zeit und heilere Welt und ebenso nicht die Perfektionierung des Jetzt, die letztlich nur eine noch weiter ausdifferenzierte und noch ausweglosere Form des Konsums bedeuten würde, sondern dem Raum zu geben, was unmittelbar möglich ist und nötig ist, um uns im Du und Ich zu halten, anstatt uns einander zum Plural von vereinzelten Ichen zu machen, die keine Gemeinschaft mehr verbindet: Was wollen wir also tun? Wir wollen gemeinsam etwas tun, dessen Ergebnis sich nicht zwischen uns stellt, sondern uns in Gemeinschaft verbindet. UND: Dieses Tun schon gerade gar nicht deshalb tun, weil uns der Zeitgeist dies vorgibt, sondern deshalb, weil man in den Eingeweiden spürt, dass es gut ist. Konvivial ist das schöpferische Tun und das geeignete Werkzeug für das gute Werk. Die Stiftung Con Vivial will genau dies ins Werk setzen.